Einführung
Festsitzende Apparaturen zur Entfernung von Zahnfehlstellungen werden in der Kieferorthopädie sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen eingesetzt. Auch heute noch stellen eine erschwerte Mundhygiene und die damit verbundene vermehrte Ansammlung von Plaque und Speiseresten während der Therapie mit Multibracket-Apparaturen (MBA) ein zusätzliches Kariesrisiko dar1. Die Entwicklung einer Demineralisation, die weiße, undurchsichtige Veränderungen des Schmelzes verursacht, werden als White-Spot-Läsionen (WSL) bezeichnet, während der Behandlung mit MBA ist eine häufige und unerwünschte Nebenwirkung und kann bereits nach 4 Wochen auftreten.
In den letzten Jahren wurde verstärkt auf die Versiegelung der bukkalen Flächen und die Verwendung spezieller Versiegelungen und Fluoridlacke geachtet. Diese Produkte sollen eine langfristige Kariesprävention und zusätzlichen Schutz gegen äußere Belastungen bieten. Die verschiedenen Hersteller versprechen einen Schutz zwischen 6 und 12 Monaten nach einmaliger Anwendung. In der aktuellen Literatur finden sich unterschiedliche Ergebnisse und Empfehlungen bezüglich der präventiven Wirkung und des Nutzens für die Anwendung solcher Produkte. Darüber hinaus gibt es verschiedene Aussagen zu ihrer Stressresistenz. Fünf häufig verwendete Produkte wurden aufgenommen: die Kompositversiegelungen Pro Seal, Light Bond (beide Reliance Orthodontic Products, Itasca, Illinois, USA) und Clinpro XT Varnish (3 M Espe AG Dental Products, Seefeld, Deutschland). Untersucht wurden auch die beiden Fluoridlacke Fluor Protector (Ivoclar Vivadent GmbH, Ellwangen, Deutschland) und Protecto CaF2 Nano One-Step-Seal (BonaDent GmbH, Frankfurt/Main, Deutschland). Als Positivkontrollgruppe diente ein fließfähiges, lichthärtendes, röntgenopakes Nanohybrid-Komposit (Tetric EvoFlow, Ivoclar Vivadent, Ellwangen, Deutschland).
Diese fünf häufig verwendeten Dichtstoffe wurden in vitro auf ihre Beständigkeit hin untersucht, nachdem sie mechanischem Druck, thermischer Belastung und chemischer Belastung ausgesetzt waren, die eine Demineralisierung und folglich WSL verursachten.
Folgende Hypothesen werden getestet:
1.Nullhypothese: Mechanische, thermische und chemische Belastungen haben keinen Einfluss auf die untersuchten Dichtstoffe.
2. Alternativhypothese: Mechanische, thermische und chemische Belastungen wirken sich auf die untersuchten Dichtstoffe aus.
Material und Methode
In dieser In-vitro-Studie wurden 192 Frontzähne von Rindern verwendet. Die Rinderzähne wurden Schlachttieren entnommen (Schlachthof, Alzey, Deutschland). Die Auswahlkriterien für Rinderzähne waren karies- und defektfrei, vestibulärer Schmelz ohne Verfärbung der Zahnoberfläche und ausreichende Größe der Zahnkrone4. Die Lagerung erfolgte in einer 0,5%igen Chloramin B-Lösung5, 6. Vor und nach der Bracketapplikation wurden die vestibulären Glattflächen aller Rinderzähne zusätzlich mit einer öl- und fluoridfreien Polierpaste (Zircate Prophy Paste, Dentsply DeTrey GmbH, Konstanz, Deutschland) gereinigt, mit Wasser abgespült und mit Luft getrocknet5. Für die Studie wurden Metallbrackets aus nickelfreiem Edelstahl verwendet (Mini-Sprint Brackets, Forestadent, Pforzheim, Deutschland). Alle Brackets verwendeten UnitekEtching Gel, Transbond XT Light Cure Adhäsiv-Primer und Transbond XT Light Cure Orthodontic Adhäsiv (alle 3 M Unitek GmbH, Seefeld, Deutschland). Nach dem Anbringen der Brackets wurden die vestibulären glatten Flächen erneut mit Zircate Prophy Paste gereinigt, um Adhäsivrückstände zu entfernen5. Um die ideale klinische Situation bei der maschinellen Reinigung zu simulieren, wurde ein 2 cm langes Einzelbogenstück (Forestalloy blue, Forestadent, Pforzheim, Deutschland) mit einer vorgeformten Drahtligatur (0,25 mm, Forestadent, Pforzheim, Deutschland) auf das Bracket aufgebracht.
In dieser Studie wurden insgesamt fünf Dichtstoffe untersucht. Bei der Auswahl der Materialien wurde auf eine aktuelle Umfrage zurückgegriffen. In Deutschland wurden 985 Zahnärzte zu den Versiegelungen in ihren kieferorthopädischen Praxen befragt. Aus den elf Materialien wurden die am häufigsten genannten fünf ausgewählt. Alle Materialien wurden streng nach den Anweisungen des Herstellers verwendet. Als positive Kontrollgruppe diente Tetric EvoFlow.
Basierend auf einem selbst entwickelten Zeitmodul zur Simulation der durchschnittlichen mechanischen Belastung wurden alle Dichtstoffe mechanisch belastet und anschließend getestet. Zur Simulation der mechanischen Belastung wurde in dieser Studie eine elektrische Zahnbürste Oral-B Professional Care 1000 (Procter & Gamble GmbH, Schwalbach am Taunus, Deutschland) verwendet. Bei Überschreiten des physiologischen Anpressdrucks (2 N) leuchtet eine visuelle Druckkontrolle. Als Zahnbürstenköpfe wurden Oral-B Precision Clean EB 20 (Procter & Gamble GmbH, Schwalbach am Taunus, Deutschland) verwendet. Der Bürstenkopf wurde für jede Testgruppe (dh 6-mal) erneuert. Während der Studie wurde immer die gleiche Zahnpasta (Elmex, GABA GmbH, Lörrach, Deutschland) verwendet, um deren Einfluss auf die Ergebnisse zu minimieren7. In einem Vorversuch wurde die durchschnittliche erbsengroße Menge an Zahnpasta gemessen und mit einer Mikrowaage (Pioneer Analysenwaage, OHAUS, Nänikon, Schweiz) (385 mg) berechnet. Der Bürstenkopf wurde mit destilliertem Wasser angefeuchtet, mit 385 mg durchschnittlicher Zahnpasta angefeuchtet und passiv auf der vestibulären Zahnoberfläche positioniert. Die mechanische Belastung wurde mit konstantem Druck und wechselseitigen Vor- und Rückwärtsbewegungen des Bürstenkopfes aufgebracht. Die Belichtungszeit wurde sekundengenau überprüft. Die elektrische Zahnbürste wurde in allen Testreihen immer von demselben Untersucher geführt. Durch die visuelle Druckkontrolle wurde sichergestellt, dass der physiologische Anpressdruck (2 N) nicht überschritten wurde. Nach 30 Minuten Gebrauch war die Zahnbürste vollständig aufgeladen, um eine gleichbleibende und volle Leistung zu gewährleisten. Nach dem Zähneputzen wurden die Zähne 20 s mit einem milden Wasserstrahl gereinigt und anschließend mit Luft getrocknet8.
Das verwendete Zeitmodul basiert auf der Annahme, dass die durchschnittliche Reinigungszeit 2 min beträgt9, 10. Dies entspricht einer Reinigungszeit von 30 s pro Quadrant. Bei einem durchschnittlichen Gebiss wird von einem Vollgebiss von 28 Zähnen, also 7 Zähnen pro Quadrant, ausgegangen. Pro Zahn gibt es 3 relevante Zahnflächen für die Zahnbürste: bukkal, okklusal und oral. Die mesialen und distalen approximalen Zahnflächen sollten mit Zahnseide oder ähnlichem gereinigt werden, sind aber in der Regel für die Zahnbürste nicht zugänglich und können daher hier vernachlässigt werden. Bei einer Reinigungszeit pro Quadrant von 30 s kann von einer durchschnittlichen Reinigungszeit von 4,29 s pro Zahn ausgegangen werden. Dies entspricht einer Zeit von 1,43 s pro Zahnfläche. Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die durchschnittliche Reinigungszeit einer Zahnoberfläche pro Reinigungsvorgang ca. 1,5 s. Betrachtet man die mit einer Glattflächenversiegelung behandelte vestibuläre Zahnoberfläche, kann bei einer zweimal täglichen Zahnreinigung von einer täglichen Reinigungsbelastung von durchschnittlich 3 s ausgegangen werden. Dies entspräche 21 s pro Woche, 84 s pro Monat, 504 s halbjährlich und kann beliebig fortgesetzt werden. In dieser Studie wurde die Reinigungsbelastung nach 1 Tag, 1 Woche, 6 Wochen, 3 Monaten und 6 Monaten simuliert und untersucht.
Um die in der Mundhöhle auftretenden Temperaturunterschiede und die damit verbundenen Belastungen zu simulieren, wurde eine künstliche Alterung mit einem Thermocycler simuliert. In dieser Studie wurde die Temperaturwechselbelastung (Circulator DC10, Thermo Haake, Karlsruhe, Deutschland) zwischen 5 °C und 55 °C bei 5000 Zyklen und einer Eintauch- und Abtropfzeit von jeweils 30 s durchgeführt, um die Exposition und Alterung der Versiegelungen zu simulieren für ein halbes Jahr11. Die Thermalbäder wurden mit destilliertem Wasser gefüllt. Nach Erreichen der Anfangstemperatur oszillierten alle Zahnproben 5000-mal zwischen dem Cold-Pool und dem Heat-Pool. Die Tauchzeit betrug jeweils 30 s, gefolgt von 30 s Abtropf- und Transferzeit.
Um die täglichen Säureangriffe und Mineralisationsprozesse an den Versiegelungen in der Mundhöhle zu simulieren, wurde eine pH-Wechsel-Exposition durchgeführt. Die ausgewählten Lösungen waren die Buskes12, 13Lösung in der Literatur mehrfach beschrieben. Der pH-Wert der Demineralisierungslösung beträgt 5 und der der Remineralisierungslösung 7. Die Bestandteile der Remineralisierungslösungen sind Calciumdichlorid-2-hydrat (CaCl2-2H2O), Kaliumdihydrogenphosphat (KH2PO4), HE-PES (1 M ), Kaliumhydroxid (1 M) und Aqua Destillata. Die Bestandteile der Entmineralisierungslösung sind Calciumdichlorid-2-hydrat (CaCl2-2H2O), Kaliumdihydrogenphosphat (KH2PO4), Methylendiphosphorsäure (MHDP), Kaliumhydroxid (10 M) und Aqua Destillata. Es wurde ein 7-tägiger pH-Cycling durchgeführt5, 14. Alle Gruppen wurden einer 22-stündigen Remineralisierung und einer 2-stündigen Demineralisierung pro Tag (abwechselnd von 11 h-1 h-11 h-1 h) unterzogen, basierend auf bereits in der Literatur verwendeten pH-Cycling-Protokollen15, 16. Als Behälter wurden zwei große Glasschalen (20 × 20 × 8 cm, 1500 ml3, Simax, Bohemia Cristal, Selb, Deutschland) mit Deckel gewählt, in denen alle Proben gemeinsam aufbewahrt wurden. Erst beim Wechsel der Proben in das andere Tray wurden die Deckel entfernt. Die Proben wurden bei Raumtemperatur (20 °C ± 1 °C) bei konstantem pH-Wert in den Glasschalen gelagert5, 8, 17. Der pH-Wert der Lösung wurde täglich mit einem pH-Meter (3510 pH Meter, Jenway, Bibby Scientific Ltd, Essex, UK) überprüft. Jeden zweiten Tag wurde die komplette Lösung erneuert, was ein mögliches Absinken des pH-Wertes verhinderte. Beim Probenwechsel von einer Schale in die andere wurden die Proben sorgfältig mit destilliertem Wasser gereinigt und anschließend mit einem Luftstrahl getrocknet, um eine Vermischung der Lösungen zu vermeiden. Nach dem 7-tägigen pH-Cycling wurden die Proben im Hydrophor gelagert und direkt unter dem Mikroskop ausgewertet. Zur optischen Analyse wurden in dieser Studie das Digitalmikroskop VHX-1000 mit VHX-1100 Kamera, das bewegliche Stativ S50 mit VHZ-100 Optik, die Messsoftware VHX-H3M und der hochauflösende 17 Zoll LCD Monitor (Keyence GmbH, Neu- Isenburg, Deutschland) verwendet. Für jeden Zahn konnten zwei Untersuchungsfelder mit jeweils 16 Einzelfeldern definiert werden, einmal inzisal und einmal apikal der Bracketbasis. Als Ergebnis wurden in einer Versuchsreihe insgesamt 32 Felder pro Zahn und 320 Felder pro Material definiert. Um der alltagswichtigen klinischen Relevanz und Herangehensweise an die visuelle Beurteilung von Versiegelungen mit bloßem Auge bestmöglich gerecht zu werden, wurde jedes einzelne Feld unter dem Digitalmikroskop mit 1000-facher Vergrößerung betrachtet, visuell bewertet und einer Untersuchungsgröße zugeordnet. Die Untersuchungsvariablen waren 0: Material = das untersuchte Feld ist vollständig mit Versiegelungsmaterial bedeckt, 1: defektes Versiegelungsmittel = das untersuchte Feld zeigt einen vollständigen Materialverlust oder eine erhebliche Reduzierung an einer Stelle, an der die Zahnoberfläche sichtbar wird, jedoch mit a Restschicht der Versiegelung, 2: Materialverlust = das untersuchte Feld zeigt einen vollständigen Materialverlust, die Zahnoberfläche wird freigelegt oder *: nicht auswertbar = das untersuchte Feld kann optisch nicht ausreichend dargestellt werden oder die Versiegelung wird nicht ausreichend aufgetragen, dann ist dies Feld schlägt für die Testreihe fehl.
Postzeit: 13. Mai 2021